Anatyum, Vanuatu

Kaum haben wir das große Außenriff auf der Westseite Viti Levus (Hauptinsel von Fiji) hinter uns, geht ein erbärmliches Geschaukel los. Wir haben drei Meter Welle von der Seite. Alles fliegt durch die Kabine und muss erst festgezurrt werden. Man merkt, dass wir die letzten Monate vor Anker unsere Hochseefähigkeiten schlummern haben lassen. Ausnahmsweise bekommt auch Wolfi ein Wohlfühlpflaster hinters Ohr geklebt. Wegen des konstanten Windes kommen wir dafür zügig vorwärts, obwohl unser großes Vorsegel gerade reparaturbedürftig und damit nicht einsatzfähig ist. „Out of the Bag“, der wahrscheinlich schnellste Katamaran der Yachtie-Flotte mit Gene und Bill an Bord ist uns auf den Fersen schafft es aber gerade nicht uns einzuholen. Nach vier Tagen werfen wir unseren Anker wieder einmal in perfekt türkisem Wasser mit fünf Metern Tiefe vor Mistery-Island. Wegen der regelmäßigen Besuche von Kreuzfahrtschiffen sind einige Zollbeamte temporär auf der Insel und wir können praktischer Weise die Formalitäten für unseren Aufenthalt in Vanuatu sehr unkompliziert erledigen.

Vanuatu ist eine relativ junge Republik mit über achtzig Inseln und um die neunzig Sprachen. Nach zwei Jahrhunderten brutalster Vorgangsweise westlicher „Händler“ mit rücksichtsloser Ausbeutung von Menschen („Blackbirding“: Entführung und Versklavung der lokalen Bevölkerung) und Natur (Sandal-Wood-Trade; Kahlschlag des in Asien begehrten Holzes) lassen sich Mitte des neunzehnten Jahrhunderts angelsächsische und französische Siedler auf den Inseln nieder und reißen sich das fruchtbare Land unter den Nagel. Protestantische und katholische Missionare ringen um die Vorherrschaft ihres jeweiligen Glaubens. Diese Spannungen führen schließlich um 1906 zur Gründung des Condominiums. Einer zwischen Großbritannien und Frankreich geteilten Verwaltung. In den Sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts kommt es allmählich zum Widerstand der lokalen Bevölkerung wegen der Landeigentumsverteilung. 1980 wir die Republik Vanuatu schließlich ausgerufen.

Neben Französisch hat sich Bislama als Amtssprache etabliert. Es handelt sich um eine Art Englisch mit zum Teil sehr witzigen Abwandlungen. Zum Beispiel heißt „Do you speak english?“ in Bislama: „Yu toktok Engglis?“. Oder „see you later“ heißt „luk at mi behind“.

Die verschiedenen Stämme auf den abgelegenen Inseln und Tälern haben sehr eigentümliche und eigenständige Kulturen hervorgebracht wie zum Beispiel die Banji-Jumping Rituale auf Pentecoste, den Rum-Tänzen auf Ambrym oder den Penisköchern auf Malekula. Leider hat die Globalisierung diesen Traditionen in nur cirka zwanzig Jahren den Garaus gemacht. Heutzutage werden die Kostüme nur noch für Touristenshows angelegt und die Tanzfestivals dienen der Versorgung mit Devisen.

Auf der positiven Seite muss erwähnt werden, dass seit Ende der Sechziger Jahre des 20. Jhds der rituelle Kanibalismus  nicht mehr praktiziert wird.

Auch in Anelcauhat dem Hauptort von Anateyum finden wir nur noch spärliche Überreste der lokalen Tradition. Wir kosten „Laplap“ das Nationalgericht. Es handelt sich um eine Art pickiger, zäher Knödelteig mit Fleischstücken drin – etwas gewöhnungsbedürftig. Einige traditionelle Einbaum-Kanus mit Ausleger liegen am Strand und es gibt noch die eine oder andere traditionelle Hütte aus Pandanus, Kokosfasern und Bambusgeflechten. Wie fast über all sonst auf unserer bisherigen Reise außerhalb Europas besteht der Großteil der lieblosen Häuser aus schäbigen Betonwänden mit mehr oder weniger rostigem Wellblechdach.

Auch von der traditionellen Lebensweise ist nicht mehr viel übrig. Man sieht gelegentlich ein offenes Plastikboot mit Außenborder über die Bucht rauschen, aber Fischen gehen die Einheimischen kaum mehr. Frischer Fisch ist im Dorf nicht zu bekommen. Die einzige Beute die an Land gebracht wird besteht trauriger Weise aus einer Schildkröte. Ansonsten holen sich die Leute am Mittag eine Tunfischdose aus dem einfach bestückten Laden.

Vom Schock den wir beim Anblick der geschlachteten Schildkröte bekommen erholen wir uns erst wieder, als wir neben unserem ankernden Boot eine lebendige Schildkröte auftauchen sehen. Während des ganzen Aufenthaltes schwimmt sie mit Respektabstand um unser Boot herum und taucht immer wieder auf. Wegen des kalten Südwindes der während unseres gesamten Aufenthaltes weht, müssen wir uns dick in Neopren einpacken bevor wir uns an die Erkundung der Unterwasserwelt machen. Die Korallenpracht ist traumhaft und wir sehen wieder neue noch nie beobachtete Fischarten. Zu unserer großen Freude können wir auch erstmalig eine lebende Triton-Trompetenschnecke erleben. Es handelt sich um eine monströs große (50cm), massive Unterwasserschnecke die fast ausgestorben ist, weil sie zu der für die Südsee charakteristischen Trompete verarbeitet wird.

Unsere idyllische, entspannte Zeit in der Lagune von Anatyum endet abrupt beim Sichten eines großen, weissen Kreuzfahrtschiffes am Horizont. Aber dies ist eine andere Geschichte...

 

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Kommentare: 4
  • #1

    Helene (Donnerstag, 21 September 2017 23:25)

    Wieder ein sehr interessanter Bericht! Natürlich schade, dass viele Traditionen und Bräuche verloren gegangen sind. Aber zumindest beim Kanibalismus ist es gut für euch :)
    Die Muschel war noch lebendig, heißt das da war ein Bewohner drinnen?
    Wo kommen denn die ganzen Kreuzfahrt Schiffe bzw. Leute dort her?

  • #2

    Alexander (Montag, 25 September 2017 20:37)

    Sehr interessant; eine lange traurige Geschichte von Unterdrückung und Ausbeutung...kein Wunder, dass sich unter solchen Bedingungen keine wirkliche Tradition, Selbstbewusstsein und Identität entwickelt.

  • #3

    Alexander (Montag, 25 September 2017 20:38)

    Schreibfehler: ......entwickeln.

  • #4

    Vati (Samstag, 07 Oktober 2017 15:07)

    Ich sehe diesen Blog und auch den nächsten aus Tanna heute das 1. Mal - ???
    Geschichte ist oft brutal und traurig - das ist offensichtlich auf den entferntesten Teilen der Welt nicht anders als in Europa.
    Und das Problem den Spagat zwischen Tradition und Überleben in der modernen Welt zu finden ebenso. Wir fahren auch nicht mehr mit der Pferdekutsche über den Ring damit die Touristen sich freuen - Fiaker ausgenommen.
    Wo kann man dort Banji jumpen - braucht man da nicht Berge oder Schluchten ??